Die neuronale und vaskuläre Mobilisation nach Lutz Scheurer ist eine spezielle physiotherapeutische Technik, die darauf abzielt, die Mobilität und Funktion des Nervensystems sowie der Blutgefäße zu verbessern. Diese Methode basiert auf einem tiefgehenden Verständnis der anatomischen und physiologischen Zusammenhänge zwischen Nerven, Gefäßen und dem umliegenden Bindegewebe.
I. Physiologische Grundlagen:
1. Nervenmobilität und Bindegewebe
Nervenbahnen verlaufen innerhalb von Bindegewebsschichten, den sogenannten „neuralen Gleitschichten“, die Nerven vor mechanischen Belastungen schützen und eine reibungsfreie Bewegung ermöglichen. Diese Schichten bestehen aus lockerem, elastischem Gewebe, das für die Verschieblichkeit der Nerven im Gewebe sorgt. Einschränkungen wie Vernarbungen, Verklebungen oder erhöhte Spannung in diesen Schichten können die Bewegungsfreiheit der Nerven beeinträchtigen und zu Schmerzen, Sensibilitätsstörungen oder motorischen Einschränkungen führen.
2. Blutgefäße und vaskuläre Mobilität
Ausgehend von dieser Behandlungsform entstand die Idee, die Prinzipien der Mobilisation auch auf Gefäße anzuwenden.
Nach einer Anpassung und Weiterentwicklung der Behandlungstechniken zeigte sich eine außergewöhnlich positive Wirkung, die zur Entwicklung eines vollkommen neuen Behandlungssystems führte.
Die Blutgefäße sind ebenfalls in Bindegewebsschichten eingebettet, die ihnen Beweglichkeit und Schutz verleihen. Eine verminderte Mobilität oder Kompression dieser Gewebe kann den Blutfluss beeinträchtigen, was zu einer Minderversorgung von Geweben und Organen führen kann. Dies kann Entzündungsreaktionen fördern und Heilungsprozesse verzögern.
3. Interaktion zwischen Nerven und Gefäßen
Nerven und Gefäße sind funktionell eng miteinander verbunden. Viele Nervenbahnen begleiten Arterien und Venen (neurovaskuläre Bündel), die sie mit Nährstoffen versorgen. Eine Beeinträchtigung in
einem Bereich (z. B. ein erhöhter Druck auf einen Nerv) kann sowohl die neuralen als auch die vaskulären Strukturen stören, was komplexe Beschwerden wie Schmerzen, Schwellungen oder
Bewegungseinschränkungen hervorrufen kann.
II. Die Technik der Mobilisation:
Die neuronale und vaskuläre Mobilisation nach Scheurer setzt spezifische Mobilisationstechniken ein, um die Beweglichkeit der Nerven und Gefäße wiederherzustellen.
1. Neurale Mobilisation
Durch sanfte Dehn- und Gleittechniken wird das Bindegewebe um die Nervenbahnen gelockert, um Verklebungen oder Restriktionen zu lösen. Dies verbessert die Elastizität des
Nervengewebes und fördert eine reibungslose Bewegung innerhalb der neuralen Gleitschichten.
Empirische Studien haben gezeigt, dass die Normalisierung des Gewebes eine bemerkenswert positive Auswirkung auf die Beweglichkeit von Gelenken und Muskeln hat.
Der Ansatz, Nerven gezielt zu mobilisieren, hat seinen Ursprung in Australien. In Deutschland erlangte diese Methode durch das Fachbuch "Mobilisation des Nervensystems" von David S. Butler (Springer Verlag) an Bekanntheit.
2. Vaskuläre Mobilisation
Gezielte manuelle Techniken verbessern die Beweglichkeit der Gefäße und sorgen für eine bessere Durchblutung. Dies unterstützt die Versorgung der umliegenden Strukturen
mit Sauerstoff und Nährstoffen und trägt zur Regeneration geschädigter Gewebe bei.
3. Integration ins Bewegungssystem
Die Mobilisationstechniken werden in ein funktionelles Gesamtkonzept eingebettet, das die normale Bewegung und Belastung des Körpers berücksichtigt. So können die
verbesserten neuralen und vaskulären Funktionen optimal in die alltägliche Bewegungsökonomie integriert werden.
III. Physiologische Wirkungen:
- Verbesserung der Nervenleitfähigkeit: Durch die Wiederherstellung der Beweglichkeit und Spannungsregulation in den neuralen Gleitschichten wird die Funktion der Nerven optimiert.
- Förderung der Durchblutung: Die vaskuläre Mobilisation steigert die Blutversorgung in betroffenen Gewebearealen, was Heilungsprozesse beschleunigt.
- Reduktion von Schmerz und Spannung: Das Lösen von Verklebungen und die Verbesserung der Gewebemobilität führen oft zu einer sofortigen
Schmerzlinderung.
- Unterstützung der Heilung: Eine bessere Versorgung von Nerven und Geweben trägt langfristig zur Regeneration bei.
IV. Anwendungsgebiete:
Die Methode eignet sich besonders bei:
- Chronischen Schmerzen (z. B. Rückenschmerzen, Karpaltunnelsyndrom)
- Bewegungseinschränkungen nach Verletzungen oder Operationen
- Neurologischen Erkrankungen (z. B. Ischias, Nerveneinklemmungen)
- Durchblutungsstörungen und Schwellungen
- Funktionellen Beschwerden des Bewegungsapparates
V. Zusammenfassung:
Diese Methode vereint präzise anatomische Kenntnisse mit gezielter manueller Therapie, um Patienten bei einer Vielzahl von Beschwerden zu helfen. Sie ist eine ganzheitliche und effektive Möglichkeit, die Beweglichkeit und Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.
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